Regen, Hitze, Pilzbefall – und jetzt auch noch das: Die Kirschessigfliege ruiniert in Oberägeri die Chriesi-Ernte

Der Oberägerer Chriesi-Ernte ist schitter ausgefallen, nun macht ein Schädling noch den Rest kaputt. Bald gibt es womöglich gar keine Ägerer Chriesi mehr.

Es ist ein nieselregnerischer Tag in Oberägeri, und gleich kippt auch die Stimmung. Armin Ott steht in Obertann zwischen zwei Kirschbäumen, der eine trägt burgunderrote Früchte, der andere fast schwarze, die einen isst man, aus den anderen gibt’s Schnaps. Eigentlich.

Es ist Mittwoch, und Armin Ott hätte erst am Donnerstag mit der Kirschernte beginnen wollen. Für den Fotografen unserer Zeitung schleppt er aber eine 12 Meter lange Holzleiter heran, hievt sie zur Tafelkirsche und steigt die Sprossen empor. Er pflückt ein paar Früchte, einige landen im Chratte, den er sich um die Hüften geschnallt hat, andere in seinem Mund. «Die sind gut!», ruft er herunter.

Doch dann entdeckt er an einer der Kirschen ein kleines Loch. Armin Ott weiss, was das bedeutet. Die Kirschessigfliege. Auch das noch.

Befallene Früchte müssen in den Gülletrog

«Hier, schon wieder. Und da. Anfangsstadium. Die laufen schon aus.» Wieder am Boden hält Armin Ott eine Kirsche zwischen Daumen und Zeigefinger und drückt sanft zu. Aus dem kleinen Loch – es könnte von einem Zahnstocher sein – quillt eine durchsichtige Flüssigkeit.

Aus der Kirsche tritt Essig aus. Viele von Armin Otts Kirschen sind schon von der Kirschessigfliege befallen.
Bild: Matthias Jurt

«Jetzt geht’s noch vier, fünf Tage, dann riechst du den Essig, wenn du unter dem Baum stehst», sagt Ott. Wenn die Kirschessigfliege einmal drin ist, lässt sich mit den Kirschen nicht einmal mehr Schnaps brennen. Armin Ott muss alle befallenen Früchte in den Gülletrog schmeissen.

Kirschessigfliege sorgt für drastische Ausfälle

Sie hat rote Augen und einen schwarzen Hintern, ansonsten ist die Kirschessigfliege gelb, fast golden. Sie ist etwa drei Millimeter gross und hat einen langen Weg hinter sich. Das erste mal beobachtet wurde sie 1916 in Japan. Ab 2008 hat sie es in den USA von der West- an die Ostküste geschafft. Im gleichen Zeitraum wurde sie in mehreren europäischen Ländern festgestellt, 2011 zum ersten Mal in der Schweiz. So weit verbreitet hat sie sich wohl durch den Import befallener Früchte.

Eine weibliche Kirschessigfliege Drosophila Suzukii
Bild: PD Wikipedia

Hier in Europa findet die Kirschessigfliege perfekte Bedingungen vor: gemässigtes Klima und keine natürlichen Feinde. Sie mag auch alle anderen Früchte mit dünner Schale. Beeren, Pfirsiche, Trauben, Zwetschgen.

Die Kirschessigfliege befällt die Früchte kurz vor der Ernte, das macht sie so schwer bekämpfbar. Ein Weibchen kann pro Tag 16 Eier legen, meistens eins pro Frucht. Nach wenigen Tagen beginnen die Larven, die Kirsche von innen aufzufressen. Die Kirschessigfliege kann bis zu 90 Prozent einer Kirschernte zerstören.

Das Einzige, das gegen die Fliege helfen würde, wären Netze, sagt Armin Ott. Aber das geht bei Hochstammbäumen nicht, und im Ägerital gibt es fast nur solche. «Wenn sie nicht bald mal einen natürlichen Feind erhält», Ott seufzt, «dann sieht’s schwierig aus mit den Kirschen.»

Ernte fiel auch sonst schon schlecht aus

Der Frust ist umso grösser, weil die diesjährige Chriesi-Ernte im Ägerital sowieso schitter ausgefallen ist. Im Mai hätten die Kirschbäume blühen sollen, doch es hat die ganze Zeit geregnet. Die 50 Bäume auf Otts Grundstücken tragen nur wenige Früchte, einige gar keine. Und die wenigen Kirschen, die gewachsen sind, sind kleiner als sonst wegen der Hitze im Juni. Die meisten Bäume sind auch vom sogenannten Schrotschusspilz befallen, der Löcher in den Blättern hinterlässt, als hätte jemand mit Schrot darauf geschossen.

Die Blätter sind vom Schrotschusspilz durchlöchert.
Bild: Matthias Jurt

Armin Ott hat bis am Mittwochnachmittag mit nur etwa einem Zehntel seiner üblichen Kirschenernte gerechnet. Ein Zehntel von rund vier Tonnen. Doch nun erkennt er an immer mehr Kirschen die Einstiche der Kirschessigfliege. «Ich darf gar nicht mehr hinschauen, sonst haben dann alle ein Loch», sagt er und wühlt mit den Händen in seinem Chratte. «Hier ist auch schon wieder eins.» Er seufzt und schaut die Bäume an. «Jetzt hatte ich das Gefühl, das seien immerhin ein paar schöne Chriesi. Aber die sind wirklich alle kaputt.»

Armin Ott besitzt die meisten Chriesi-Bäume im Ägerital.
Bild: Matthias Jurt

In den vergangenen Jahren war die Ernte nie wirklich gut, sagt Armin Ott, aber das heuer ist ein Rekordtief. Er ist in erster Linie Milchbauer und daher von den Chriesi immerhin nicht abhängig. Er habe sich daran gewöhnen müssen, dass die Chriesi-Ernte immer schlechter wird, sagt er. «Vor allem, seit wir die Kirschessigfliege haben.» Das war der Wendepunkt für die Hochstammbäume. So schwindet auch das Interesse der Bauern, überhaupt noch Chriesi zu ernten, befürchtet Ott.

Es aufgehört zu regnen. Armin Ott macht sich mit den wenigen Kirschen in seinem Chratte auf den Heimweg. Der Fotograf knipst noch ein letztes Foto. Doch wirklich lächeln mag Ott nicht mehr.


Erschienen in der Zuger Zeitung am 8. Juli 2023.