Der Hünenberger Gemeinderat verkauft die Entwicklungspläne im Bösch seit Jahren als Erfolgsgeschichte. Das sehen aber nicht alle so – man muss nur die fragen, die selten zu Wort kommen.
Kilian Küttel, Linda Leuenberger
Hünenberg Bösch an einem Dienstag im März. Die Strasse ist leer, kein Mensch zu sehen; unter dem stahlblauen Himmel herrscht eine drückende Ruhe. Und das, obwohl im 30 Hektaren grossen Bösch rund 600 Firmen mit gut 3300 Arbeitsplätzen angesiedelt sind.
Die Stille ist eine Momentaufnahme, doch bald könnte es mit der Ruhe ganz vorbei sein: Bekanntlich will die Gemeinde mehr Steuern einnehmen und die Zahl der Arbeitsplätze von 3300 auf 5000 steigern. Doch ehe es so weit ist, muss das Gebiet attraktiver werden, sagt die Gemeinde. Deshalb hat ein Verein aus Grundeigentümerinnen und Grundeigentümern eine Vision erschaffen, wie das Bösch dereinst aussehen könnte: Hochhäuser, Foodtrucks, Grünflächen samt Wasserspiel, E-Bike- und E-Auto-Stationen.
So könnte es im Bösch einmal aussehen.
Visualisierungen: PD/MAS StadtRaum Architekten
Strassenpläne sind konkret, Gespräche finden demnächst statt
Der Verein Zukunft Bösch betonte, er habe grosse Ideen präsentiert, die zeigen sollten, was möglich sein könnte. So oder so gilt: Bevor eine der Ideen umgesetzt wird, muss beim Verkehr etwas gehen. Deshalb will die Gemeinde die äussere Ringstrasse, die zu einem grossen Teil in Privateigentum ist, vervollständigen und ausbauen. In einem zweiten Schritt soll aus der heute viel befahrenen Mittelstrasse ein Boulevard werden, der Fussgängerinnen, Velofahrern und dem Bus vorbehalten ist.
Im Mai finden die ersten Gespräche mit den Grundeigentümerinnen und Grundeigentümern statt, die von den Plänen des Gemeinderats direkt betroffen sind. Denn die Gemeinde will und muss Land kaufen, um ihre Ideen zu verwirklichen.
Zwar genehmigte die Gemeindeversammlung am 13. Dezember eine knappe Million Franken, um das Entwicklungsprojekt weiterzutreiben. Doch die Voten und das Resultat von 142 Ja- zu 50-Nein-Stimmen zeigten schon damals: Im Bösch sind nicht alle zufrieden. Nicht mit der Ringstrasse. Und nicht mit dem Verein Zukunft Bösch, von dem sie sich einige nicht repräsentiert fühlen.
Umfrage deutet darauf hin: Die Vision Bösch ist umstritten
Wie ist die Grundstimmung gegenüber einer Entwicklung, die das Gesicht des Areals grundlegend verändern könnte? Um diese Frage zu beantworten, hat unsere Zeitung eine Umfrage in der Grundeigentümerschaft durchgeführt. 35 verwertbare Fragebogen sind zurückgekommen, deren Auswertung zeigt: Die Vision, wie sie der Verein Zukunft Bösch vorgestellt hat, ist nicht unumstritten:
Auf die Frage, ob sie die Idee unterstützten, antworteten 19 Parteien mit «Ja» oder «Eher Ja», demgegenüber kreuzten zwölf Personen ein «Nein» oder «Eher Nein» an. Und von den 35 Eigentümerinnen und Eigentümern fühlen zwar zehn ihre Bedürfnisse vom Verein «Gut» oder «Sehr gut» abgeholt, zwölf antworten dagegen mit «schlecht» oder «sehr schlecht».
Wer sich die kritischen Stimmen anhört, merkt bald, dass grundsätzlich Offenheit gegenüber einer Veränderung besteht. Und trotzdem herrscht Verunsicherung bei Eigentümerinnen, Eigentümern und bei Leuten wie Willy Portmann – einem Mann, der von sich sagt, er wisse gar nicht, wieso er sich «so auf die Äste rauslässt»: «Mir gehört ja nichts mehr im Bösch, seit ich meine Liegenschaft an meinen Sohn weitergegeben habe.»
Dennoch ist der 71-Jährige so etwas wie das Gesicht der Skeptiker, seit er an der Gemeindeversammlung im Dezember aufgestanden ist. Bis heute hat sich an der Meinung nichts geändert, die er damals kundgetan hat:
«Die Vision Bösch ist überdimensioniert und nicht zu Ende gedacht. Man kann doch nicht ein solches Projekt präsentieren, wenn man noch nicht einmal weiss, ob man überhaupt diese Ringstrasse bauen kann.»
Mit dieser Ansicht ist Portmann nicht alleine. Das belegen E-Mails, die er vor und nach der Gemeindeversammlung erhalten hat. Ein Eigentümer schreibt, es sei «absolut unverständlich», dass der Kreditantrag angenommen wurde: «So viele offene Fragen und viele Unklarheiten – das Konzept wird so nie erfolgreich umgesetzt.» Und eine andere Eigentümerin fürchtet, ihre Immobilie verliere an Wert: «Eine Wohnung, die nicht (mehr) über einen direkten zugänglichen Parkplatz verfügt, ist weniger attraktiv (…). Für uns grenzt das an Enteignung.»
Wieso diese Sorgen? Die Verhältnisse im Bösch sind eng; entlang der Strasse befinden sich Einfahrten, Zufahrten oder Parkplätze auf privaten Grundstücken.
Das alles stünde der ausgebauten Ringstrasse im Weg. Deshalb geht bei den Grundeigentümern die Angst vor einer Enteignung um. Oder wie es Willy Portmann sagt: «Diese Strasse kommt nur, wenn alle mitmachen. Das wird aus heutiger Sicht nicht passieren, jedenfalls machen voraussichtlich nicht alle freiwillig mit. Also kann man sich vorstellen, was die Gemeinde tun wird.»
Gemeindepräsidentin kann Kritik nicht nachvollziehen
Einige Wochen nach dem Gespräch mit Willy Portmann. Die Hünenberger Gemeindepräsidentin Renate Huwyler sitzt mit verschränkten Händen an einem Tisch in ihrem Büro und macht seit mehreren Minuten Werbung für die Entwicklungspläne im Bösch:
«Das Potenzial des Areals ist riesig. Aber damit Hünenberg profitieren kann, muss es zuerst aufgewertet werden.»
Jahrelang sei das Thema immer wieder auf den Tisch gekommen, dann schlossen sich 2019 auf Initiative der Gemeinde 37 Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer im Verein Zukunft Bösch zusammen.
Huwyler bezeichnet die Vision als «grossartig» – und gibt zu verstehen, dass sie die Kritik nur bedingt nachvollziehen kann: «An der Gemeindeversammlung haben gewisse Leute ein detailliertes Projekt verlangt. Aber das konnten wir nicht präsentieren. Wir mussten doch zuerst einen Kredit beantragen, um überhaupt weiterplanen zu können.»
Mit dem Widerstand hat sie gerechnet, aber trotzdem glaubt sie, bald mit dem Bau der Strasse beginnen zu können. Laufen die Arbeiten bis Ende 2025 an, kann sich die Gemeinde Hoffnungen machen, dass sich der Bund aus dem Agglomerationsprogramm mit bis zu 40 Prozent an den Kosten beteiligt. Die Gemeinde hat also etwas mehr als dreieinhalb Jahre, um ein Bauprojekt auszuarbeiten, aufzulegen und anzufangen. Viel Zeit für Einsprachen oder Gerichtstermine bleibt nicht.
«Das ist so, doch unser Ziel ist ohnehin, mit allen eine einvernehmliche Lösung zu finden», sagt Huwyler – und unterstreicht, was sie schon an der Gemeindeversammlung gesagt hat: Sie könne versichern, «dass keine Enteignungen angedacht sind. Es müssen nicht zwingend alle Eigentümer von Anfang an mitmachen.»
Verein freut sich über die positiven Rückmeldungen
Nicht nur die Ringstrasse sorgt für Irritation. Gewisse Eigentümer fürchten, im Verein Zukunft Bösch wollen sich einige Mitglieder vor allem selber Aufträge verschaffen. Dazu sagt Vereinspräsident Marco Hofer:
«Solche Kritik macht uns traurig. Es steht jedem frei, im Verein mitzumachen und sich vom Gegenteil zu überzeugen.»
Der Verein könne weder etwas planen noch bauen, dazu würden ihm Kompetenzen und Geld fehlen. Hofer: «Wir können Ideen entwerfen – umsetzen müssen sie andere, sprich die Gemeinde, die Grundeigentümer und die Geldgeber.»
Die Resultate der Umfrage überraschten den Präsidenten nicht: «Uns ist bewusst, dass sich bei solchen Umfragen mehrheitlich Kritiker melden. Zufriedene Menschen sind meist zu bequem, eine Umfrage auszufüllen. Wir sind deshalb eher erstaunt über das doch mehrheitlich positive Ergebnis zur Vision.»
In den anstehenden Verhandlungen mit den Grundeigentümern spielt der Verein keine Rolle, das ist Sache der Gemeinde. Laut Hofer will der Verein nun «vermehrt Anlässe durchführen, die der Vernetzung der Mitglieder dienen.» Auf dem Programm stünden etwa Workshops zur Zukunft des Bösch oder der Aufbau eines Begegnungsorts, der «zum Verweilen, Geniessen, Networking, aber auch für Events und Versammlungen genutzt werden kann».
Derweil können sich die Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer auf Gespräche mit der Gemeinde einstellen. Vielleicht schaffen die Klarheit, denn das ist es, was sich die Leute im Bösch momentan am stärksten wünschen. Und für Renate Huwyler wird in den kommenden Wochen das Zitat, das an einer Wand in ihrem Büro im Gemeindehaus prangt, aktueller als es für sie wohl ohnehin schon ist: «Politik ist die Kunst des Möglichen. Demokratie bedeutet ausreden lassen und zuhören können.»
Publiziert am 28. März 2022 in der Zuger Zeitung.