Das Ganze sei zu gross geworden, schreibt der Luzerner Rapper Mimiks vergangene Woche in einem Instapost – und meint damit Homophobie und Sexismus in der Rapszene. Wir sind mit ihm an einen Tisch gesessen und haben uns über grenzwertige Lines und die Regeln der Kunst unterhalten.
Interview: Elena Oberholzer und Linda Leuenberger
Bilder: Tanja Bojani´c
Die Luft steht stickig im Raum, draussen brennt die Sonne 30 Grad an die Häuserwände. Es ist heiss an diesem Freitagnachmittag, als wir in der Luzerner Neustadt auf Mimiks warten. Und heiss ist auch die Thematik, die wir mit ihm diskutieren wollen. Es passiert nicht alle Tage, dass sich jemand aus der Rapszene zu Sexismus und Homophobie äussert. Zu diesem Zeitpunkt wissen wir nicht recht, was uns erwartet. Wie viel Denkarbeit steckt hinter den paar Zeilen, die Mimiks vor ein paar Tagen auf Instagram gepostet hat?
Mimiks kommt ins Parterre rein, blaue Spanien-Shorts, Goldkette über dem weissen Shirt. Er stellt sich uns mit «Ciao, Angel, freut mech» vor, wir holen Kaffee und setzen uns an einen Tisch. Während des Gesprächs ist nie ganz trennscharf, ob wir nun mit dem gelernten Koch Angel Egli oder seinem Rap-Alias Mimiks reden. Die Person und die Figur scheinen zu verschwimmen.
Lumos: Angel, man entscheidet sich ja nicht jeden Tag für ein öffentliches Statement zu so komplexen Themen wie Sexismus und Homophobie in der eigenen Szene. Was hat dir den Anstoss gegeben, dies gerade jetzt zu machen?
Mimiks: Begonnen hat alles Anfang Jahr mit einem Shitstorm unter einem Post des Openair Frauenfeld. Darauf ist deren Logo mit einem Regenbogen hinterlegt zu sehen. In der Bildbeschreibung steht «WE SUPPORT». Da ging es in den Kommentaren übel zu und her – und ich dachte mir: Wow, das scheint ja selbst heute noch ein krass polarisierendes Thema zu sein.
Daraufhin hast du einen ähnlichen Post veröffentlicht. Das Albumcover von «Für immer niemer», ebenfalls mit Regenbogen hinterlegt.
Genau. Darunter habe ich «us aktuellem Alass» geschrieben und das OAF markiert. Das war mein erstes Statement in diese Richtung. Seit da schleppe ich diesen Gedanken mit mir herum, dass wir dringend über diese Thematik sprechen müssen.
Zur Person
Der gebürtige Luzerner Angel Egli begann mit 16 zu rappen. Heute ist er seit über einem Jahrzehnt Teil der Hip-Hop-Szene und sein Pseudonym «Mimiks» ist zu einem Namen geworden, den man in der Schweiz auch ohne Bezug zu Luzern kennt. Gestartet hat der heute 28-Jährige mit Freestyle-Battles, brachte 2012 sein erstes Mixtape «Jong & Hässig» raus, 2014 sein erstes Album «VodkaZombieRambogang». Von den Underground-Battles brachte er es zuoberst in die Charts und auf Bühnen wie jene des Openair Frauenfeld. 2016 folgte das zweite Album «C.R.A.C.K», ein Jahr darauf «Jong & Hässig Reloaded». Nach einer längeren Schaffenspause hat Angel anfangs 2020 sein Comeback-Album «Für immer niemer» veröffentlicht. Der gleichnamige Titelsong wurde zum besten Rapsong 2019 gekürt.
Ende Juli hast du dich nun entschieden, dich ausführlicher zum Thema zu äussern. Warum gerade jetzt?
Ich habe vor ein paar Tagen mit einer jüngeren Person meine alten Rapvideos durchgeschaut. Ihr fielen ein paar dieser grenzwertigen Lines auf und sie hat die Stirn gerunzelt und mich verdutzt angeschaut. Mir wurde klar: Diese Aussagen kann man nicht einfach so stehen lassen. Dann hab ich diesen Text geschrieben und mir gedacht, wenn der sich gut anfühlt, dann lasse ich den raus.
Das hat ja nun ziemlich Wellen geschlagen. 20 Minuten hat’s auch gleich gebracht.
Ich hätte nicht gedacht, dass mein Statement so weite Kreise ziehen würde. Das Thema ist nichts neues, man spricht darüber, die Gesellschaft ist sensibler geworden. Aber anscheinend hat es doch nochmal einen anderen Impact, wenn jemand aus der Szene etwas sagt und die Situation auf den Punkt bringt. Und nicht jemand von aussen mit dem Finger auf uns zeigt.
Machen wir mal einen Schritt zurück. Warum ist Frauen- und Schwulenfeindlichkeit im Rap überhaupt so ein Ding?
Wenn man rappt, muss man wollen, dass die Leute einen krass finden. Man muss etwas Macho sein. Das führt dann zu einer Hypermännlichkeit, die alles überstrahlt. Und wer diesem überspitzten Bild nicht entspricht, wird abschätzig angesehen. Dazu kommt, dass auch Menschen aus bildungsferneren Kreisen rappen. Sie setzen sich mit der Thematik vielleicht weniger auseinander.
Und wenn das Publikum diese Lines abfeiert, bestärkt das einen in dem, was man rappt?
Genau, das ist der zweite Punkt. Es gibt gewisse Sachen, da weiss man, das kann man sagen. Die Battles sind da ein gutes Beispiel: Man macht da mit, um zu gewinnen und muss dafür beim Publikum landen. Wenn ich solche Lines bringe, weiss ich, dass die das lustig finden. Und so nimmt das seinen Lauf.
Du hast in deinem Post geschrieben, diese sexistischen oder homophoben Lines haben für dich in einer fiktiven Welt gespielt. Du meintest aber auch, dass es nochmals eine andere Frage sei, inwiefern solch eine Welt denn Sinn macht. Kannst du das ausführen?
Rap/Hip-Hop ist eine Welt, in der die Grenzen von Korrektheit viel verschwommener sind als anderswo. Wenn man in diese Rapwelt eintaucht, kann man sich darauf einlassen. Man kann sich halt fragen, inwiefern diese «fiktive Welt» Sinn macht, wenn darin alle mega männlich und mega krass sein müssen.
Würdest du denn sagen, du bist, wenn du beispielsweise an Battles in diese Rapwelt eintauchst, eine andere Person?
Ja. Es ist ein Spiel, das seine eigenen Regeln hat. Und nach denen habe ich gespielt.
Und in diesem Spiel sind gewisse Dinge «sagbarer» als anderswo.
Ja, es ist so: Ich glaube, Menschen dürfen eine Welt haben, die nicht zu 100 Prozent politisch korrekt ist. In einer Welt, die komplett ohne Reibung verläuft, ohne Anspannung – da gäbe es keine Diskussionen mehr. Dann würden wir drei jetzt auch nicht hier sitzen. Humor funktioniert nur mit Dingen, die aus dem Rahmen fallen. Kunst genauso. Kunst ist spannend, weil wir darüber diskutieren können. Es wäre gegen das Naturell der Kunst, wenn sie in einem gesetzten Rahmen stattfinden müsste.
In diese Richtung argumentierst du auch in deinem Post. Du schreibst, Hip-Hop darf und muss Ecken und Kanten haben.
Ein zu starker Eingriff in die Kunst von Hip-Hop hätte zur Folge, dass sie abgeschliffen würde – und sie würde dementsprechend langweilig. Es ist eine Gratwanderung, denn ich finde es ja trotzdem dumm, wenn jemand homophob oder sexistisch ist.
Gibt es Lines in deinen alten Songs, die du zurücknehmen würdest, wenn du könntest?
Es gibt gewisse Lines, da denke ich mir rückblickend: Die tragen nichts zum Song bei. Das sind zum Beispiel solche, die ich nur benutzt hab, weil ich einen Reim auf etwas anderes brauchte. In «Beastmode» ist eine solche Zwecks-Line drin.
Wie lautet diese Line?
«Du chattisch nur mit fette Fraue». Die hätte es für den Song überhaupt nicht gebraucht. Wenn ich live rappe, lasse ich sie aus. Und ja, wenn ich könnte, dann würde ich sie umschreiben. Das wäre eine Sache von zwei Minuten.
Mach mal!
Mimiks setzt sich in seinem Stuhl zurück, überlegt, murmelt Satzfragmente vor sich hin. Es dauert eine halbe Minute, dann sagt er:
Anstelle von «du chattisch nur mit fette Fraue» könnte ich schreiben «ich ha die chränkste Auge» – macht jetzt nicht mega viel Sinn, aber irgendwie so.
Anfangs Jahr warst du bei Radio 3FACH zu Gast und hast dich dort als Fan des Deutschrappers Kollegah geoutet. Ist der nicht genau einer der übleren Sorte?
Ich habe von meinem Weltbild auf seines geschlossen und dachte deshalb, er meint die Dinge, die er rappt, nicht ernst. Sondern beschreibt eine fiktive Welt – man kann sich das wie eine Southpark-Folge in Rapform vorstellen. Für mich wurde seine Musik aber «unkonsumierbar», als ich Interviewpassagen von ihm gesehen und bemerkt habe: Wow, okay, der denkt ja tatsächlich so.
Die Homophobie-Sexismus-Thematik ist offensichtlich schwer fassbar. Einerseits sind solche Aussagen unangebracht, andererseits braucht die Kunstform Hip-Hop ihre Ecken und Kanten. Wo ziehst du für dich die Grenze?
In meinem neuen Album «Für immer niemer» bringe ich keine sexistischen Lines mehr, homophobe auch nicht, wobei ich auch früher kaum schwulenfeindliche Texte veröffentlicht habe. Ansonsten ist es kontextabhängig. Besonders zynisch und ironisch verpackt könnte eine Line in die Richtung durchaus fallen. Aber grundsätzlich eher nicht.
Und wo wünschst du dir die Grenze für die ganze Szene?
Das ist schwierig zu sagen. Denn es ist schwierig, zu definieren, welche Begriffe und Ausdrücke konkret diskriminierend sind. Man ist die Summe von allem, was man jemals gesagt hat. Das zählt am Ende. Es ist immer gut, Hintergrundinfos zu Künstlern zu haben. Dann lassen sich deren Aussagen besser einordnen.
Wir sehen, es ist schwierig, aber trotzdem gibt es im Rap Handlungsbedarf. Was muss passieren?
Wir sind mit homophoben und sexistischen Patterns konfrontiert, die sich immer wiederholen. Wir müssen anfangen, darüber zu sprechen, um diese Weltbilder aufzuweichen. Ich bin überzeugt, dass viele das Thema gleich sehen würden wie ich, würden sie den Gedanken mal zu Ende denken.
Zurück zu deinem Insta-Statement. Hast du das alleine geschrieben? Oder war da noch etwas PR im Hintergrund?
Also PR war das nicht (lacht). Die Leute aus der PR sind eher vorsichtig was solche Dinge anbelangt, denn der Schuss kann auch nach hinten raus. Ich habe den Post geschrieben, ohne jemandem etwas zu sagen. Mein Management war dann auch ein bisschen sauer, dass ich sie nicht vorgewarnt habe. Aber ansonsten hätten wir eine Woche lang diskutiert, ob ich das jetzt machen soll oder nicht.
Aber Hand aufs Herz. War der Post nur heisse Luft oder kommt da jetzt noch mehr?
Nach dem Frauenfeld-Vorfall war für mich klar: Ich kann jetzt nicht einfach nichts mehr machen. Und habe mir vorgenommen, da jetzt «voll dri» zu gehen und darüber zu sprechen. Die Leute sollen sehen, wie ich zum Thema stehe und ich hoffe, dass andere mitziehen. Gleichzeitig will ich aber kein Moralpolizist sein. Das hilft niemandem und dafür bin ich selber auch zu wenig konsequent. Bis jetzt gab’s aber auch noch keinen Anlass dazu. Mal sehen.
Ist eine Welt ohne Sexismus und Homophobie im Rap überhaupt denkbar?
Ich wiederhole mich, aber es ist wirklich schwierig, zu definieren, was Sexismus und Homophobie im Kern konkret sind. Und deshalb ist es auch schwer, diese Frage zu beantworten. Im Reggaeton und Schlager existiert dieses Problem in anderer Form beispielsweise auch. Gerade der Schlager hat sich die letzten 50 Jahre nicht weiterentwickelt, weil man nie an diesen Strukturen gezweifelt hat, welche die klassischen Rollenbilder reproduzieren. Wir in der Hip-Hop-Kultur haben das Ganze aber auf jeden Fall zu weit gehen lassen. Und jetzt müssen wir anfangen, darüber zu reden. Ich sage es mal so: Wenn ich mit 80 zurückschaue und Rap ist immer noch gleich, dann haben wir krass gefailt.
Ein schöner Abschluss, denken wir uns, und beenden das Gespräch. Draussen reden wir off record noch ein wenig weiter, das Thema scheint sowohl Mimiks als auch Angel wirklich zu beschäftigen. Als wir uns von ihm verabschieden, bleibt der Eindruck eines reflektierten Gesprächs. «De Bueb usem Maihof, er esch jetzt eine vode Grosse», rappt er in «Für immer niemer». An diesem Freitagnachmittag würden wir das unterschreiben; Young Mimi scheint erwachsen geworden.
Publiziert am 5. August 2020 im Lumos Magazin.