Bouba kam übers Mittelmeer nach Europa. Jetzt erzählen zwei Luzerner Rapper seine Geschichte

Es war eine zufällige Begegnung in der Ufschötti vor zwei Jahren, und trotz Sprachbarriere wurde eine Freundschaft daraus. Jetzt widmen Mimiks und LCone ihrem guineischen Freund Bouba einen Song.

Es ist ein Tag im Frühling 2021, und Boubacar Doumbouya streift seit Wochen durch die Stadt Luzern. Die Notschlafstelle teilt er sich mit obdachlosen und drogensüchtigen Menschen. Jeden Morgen muss er um 9 Uhr raus, jeden Abend um 20 Uhr stellt er sich wieder in die Schlange.

Wann die Schweiz ihn nach Guinea zurückschaffen will, weiss Boubacar Doumbouya nicht. Er hat vor ein paar Tagen seinen zweiten negativen Asylbescheid erhalten und musste seinen Platz im Asylzentrum Buttisholz räumen. Sein N-Ausweis für Asylsuchende wurde ihm abgenommen. Er erhielt ein Blatt Papier, das er zeigen solle, wenn die Polizei ihn kontrolliert.

Arbeiten darf Doumbouya nicht. Das Einzige, was ihm bleibt, um nicht durchzudrehen: Lesen und Rennen. Er ist 18 Jahre alt und allein – in einer Stadt, deren Sprache er nicht spricht, in einem Land, dessen Regeln er nicht kennt, auf einem Kontinent, von dem er sich eine zweite Chance erhofft hatte. Eine Chance, sein Leben neu aufzubauen.

«Spielst du mit?»

An diesem Frühlingstag 2021 sitzt Boubacar Doumbouya in der Ufschötti auf dem Rasen und liest. Dann schaut er auf, vor ihm steht ein Mann, der sagt: «Uns fehlt noch einer.» Unter seinem Arm klemmt ein Fussball. «Spielst du mit?»

Doumbouya spricht kein Deutsch und der Mann nur Schulfranzösisch. Aber sie spielen zusammen, dann kommen sie ins Gespräch. Sein Name sei Bouba, sagt Doumbouya. Der Mann stellt sich mit Angel vor.

«Er hat mir erzählt, was so abgeht bei ihm», sagt Angel Egli heute, der als Rapper Mimiks bekannt ist. Sie verbringen den ganzen Nachmittag draussen, am Abend gehen sie essen. Schon an diesem ersten Tag lernt Bouba einige der Leute um die Luzerner Rapper Mimiks und LCone kennen. Und er wird zu einem Teil von ihnen.

«Die Freundschaft zu Bouba ist etwas vom Besten, das mir in den letzten zwei Jahren passiert ist», sagt Mimiks. Seit diesem einen Tag im Frühling 2021 hat Bouba Mimiks und LCone auf fast jedes ihrer Konzerte begleitet. Mit der Zeit lernten die Rapper neue Wörter auf Französisch, und Bouba begann, erste Sätze auf Deutsch zu sagen.

Von Guinea über Lampedusa ins Tessin

Als Mimiks und LCone vorschlagen, ihm einen Song zu widmen, findet Bouba die Idee von Anfang an «vraiment exceptionelle», sagt er heute. Er habe den beiden seine Geschichte gerne erzählt. «Sie haben mich aufgenommen und mir so viel Liebe gezeigt», sagt Bouba. «Das sind meine Brüder.»

Sie treffen sich bei LCone zu Hause, schlagen einen alten Schulatlas auf, zeichnen Boubas Route nach. Dann beginnt er zu erzählen. Auf Französisch, Deutsch, Englisch, mit Google Translate. Dreieinhalb Stunden lang.

Bouba erzählt von der Kindheit im Dorf, den Mangobäumen und den Bettlern. Von Protesten in der Stadt und einem Freund, der getötet worden war. Vom Weg durch die Wüste, durch Mali, Algerien und Tunesien. Von Schleppern und der Ankunft in Lampedusa:

Hesch e Narbe am Chopf, Kalaschnikow
Will so e Kidnapper ned mit dir verhandle wott
Zwöi Täg ufem Meer, denn isch Land in Sicht
Und du hesch ghofft, dass ab jetzt alles andersch isch

Von Lampedusa schafft Bouba es nach Sizilien, irgendwann nach Mailand. Wie weiter? Jemand sagt ihm, er solle in die Schweiz, dort sprächen alle Französisch. Man hilft ihm, ein Ticket zu lösen, und so kommt Bouba in einer Dezembernacht 2020 mit dem letzten Zug nach Lugano.

Die Polizei gabelt ihn auf und bringt ihn ins Bundesasylzentrum in Chiasso. Er war verwirrt, erzählt Bouba heute. Er dachte, er sei in der Schweiz, warum sprechen alle immer noch Italienisch? Wo war er? Er fragt einen Nigerianer, den er auf dem Gang trifft. Der schaut ihn verdutzt an. «In der Schweiz, mon gars!», sagt er. «Nous sommes en Suisse!»

Integrieren, so gut es geht

Bouba stellt einen Asylantrag. Er wird abgelehnt. Bouba reicht Beschwerde ein. Dann wird er nach Luzern versetzt, wo er im Asylzentrum Buttisholz auf Bescheid wartet. Er hätte einen französischsprachigen Kanton bevorzugt, sagt Bouba. Aber das Schweizer Asylwesen erfüllt keine solchen Wünsche.

Bouba ist sieben Monate in der Schweiz, als der zweite negative Bescheid kommt. Er muss weg aus Buttisholz. Dann: Luzern, Notschlafstelle, Mimiks in der Ufschötti. Mittlerweile lebt Bouba im Luzerner Quartier Ibach, in einem Zimmer, das er sich mit einem anderen Asylsuchenden teilt. Bis heute weiss er nicht, wann er nach Guinea zurück muss.

Du chonsch id Schwiiz, doch muesch igseh
Du bisch so nöch am Ziel, doch bisch igsperrt

Er sei gekommen, um zu bleiben, sagt Bouba. Trotz seiner abgewiesenen Gesuche. Jemand habe ihm gesagt, es gebe zwei Optionen: Entweder er finde eine Frau, die ihn heiratet. Oder er stelle nach fünf Jahren ein Härtefallgesuch.

«Ich glaube aber nicht, dass mich jemand lieben würde», sagt Bouba. Nicht in der Situation, in der er jetzt stecke, ohne Geld und Perspektive. Also geht er dreimal die Woche in den Deutschkurs, fünfmal die Woche zum Lauftraining. Er versuche, sich zu integrieren, so gut es gehe.

Realität von Sans-Papiers zeigen

Sans-Papiers zu sein, sei vor allem schwierig, weil er nicht arbeiten dürfe, sagt Bouba. Nicht einmal dann, wenn ihm jemand einen Job anbietet. «So viele Leute wollten mir helfen», sagt er. Die Leute vom Lauftreff, vom Leichtathletikverein, von der Rap-Crew. Doch die Menschen um Bouba sind hilfsbereiter, als das System erlaubt.

Mit ihrem Song wollen Mimiks und LCone Boubas Geschichte erzählen, zeigen, wie seine Realität aussieht – und die all der anderen Menschen, die ohne Papiere in der Schweiz leben. Diese Menschen hätten so viel durchgemacht, nur wegen der Hoffnung auf ein besseres Leben, sagt LCone. «Sie leben unter uns, aber wir wissen nichts über sie.»

De langi Weg bisch du gange ellei
Und sie säged nei
Doch du seisch dine Traum bliibt
Bouba, ja ich weiss, dine Traum bliibt


Erschienen in der Luzerner Zeitung am 3. Oktober 2023.